JURGEN OSTARHILD

"VARIATIONEN"- STUDIEN ZUR BIOMETRIE-TOPGIRLS IN WEDDING
30.05-13.06.2008

ERÖFFNUNG am FREITAG, den 30.5.08/ 20h zur KOLONIE WEDDING

JURGEN OSTARHILD präsentiert uns jene Serie 16 topschöner, dennoch irritierender Portraits, die zwischen schönem Schein und monströser Befremdung collagenartig zusammengesetzt sind, so dass sie letztendlich befremdliche, dennoch perfekt mutierte Persönlichkeiten bilden. Sie sind hyperreale Produkte. Es geht um Realität, Repräsentation, Interpretation, Simulation, Vorstellung-am Beispiel von Gesichtern: Das Gesicht ist das Ur- Interface des Menschen. Das Gesicht steht im Mittelpunkt jeder menschlicher Kommunikation. Es ist stellvertretend für alle anderen Darstellungen.

Im Frühjahr 2008 machte die Meldung die Runde, dass in den Laboren von Craig Venter das Genom des ersten völlig synthetischen Bakteriums zusammengesetzt wurde. Irgendwann wird diese Meldung wohl den Anfang der Schaffung von künstlichem Leben markieren. Jürgen Ostarhilds Portraits öffnen die Tür zu dieser Zukunft schon heute einen Spalt weit. Wir schauen in die Gesichter von buchstäblich unsagbar schönen Menschen. Ihre Präsenz wirkt befremdlich, irgendetwas scheint nicht mit ihnen zu stimmen. Es sind die Enkel von Prometheus. Synthetisch geschaffen wie die Bakterien von Venter.
Ostarhilds Bilder lassen uns das menschliche Antlitz der Zukunft sehen und das Blut gefriert uns in den Adern. Denn in dieser Zukunft wird kein Platz mehr für Unsereiner sein, die wir profan von den primitiven Impulsen der Biologie gezeugt und geschaffen sind. Diese Wesen werden wohl ewig jung bleiben, nicht mehr erkranken und sich ihrerseits nur noch künstlich fortpflanzen. Ihr Durchschnittsalter wird wohl etwa 130 Jahre betragen, Jahre die spurlos an ihnen vorüber gehen. Sterben werden sie, wenn überhaupt, sanft an Abnutzung im Schlaf. Oder aber, und das ist viel wahrscheinlicher: sie werden erschlagen werden von der Mehrzahl der Unterprivilegierten, denen Tod und Verfall weiterhin eingepflanzt geblieben ist, da sich nach ihrem Arbeitsleben keine Verwendung mehr für sie findet. Ob wir diese Zukunft wollen oder nicht, müssen wir uns heute fragen. In zwei, drei Generationen wird diese Frage nicht mehr gestellt werden können. Ostarhilds Bilder stellen sie eindringlich und unvoreingenommen.

Ausgangsbasis von Ostarhilds Schaffen ist eine Ironisierung und Irritierung der Biometrie und Mustererkennung, eine Art Schablone, die aus biometrisch korrekt fotografierten Gesichtern besteht. Dieses Muster wird in ein Binärbild umgewandelt. Aus diesem Binärbild entsteht ein Template, nach diesem Template werden die Gesichter gesampelt. Einzelne, markante, individuelle Gesichtsteile wie Augen, Nase, Mund, werden zu Variablen. Die Differenz der einzelnen Gesichtsteile zu dem Template definiert ein Individuum oder: Das Individuum definiert sich durch die Differenz zum Durchschnitt. Ähnlich variiert auch das Verhältnis von
Realität, Abbildung, Vorstellung. Da das Bild zugleich auch ein Gesicht ist, kommt es beim Betrachten zu Rückkopplungen, die sich in Sympathie/Antipathie ausdrücken. Die Kommunikation zwischen Betrachter und Bild beruht auf reinen Oberflächlichkeiten der visuellen Kommunikation und wird von Eitelkeiten bestimmt.

Weiter, pendeln die klassischen Fragen in Ostarhilds Arbeiten zwischen Realismus und Konstruktivismus: Ist die Wirklichkeit eine Entdeckung oder eine Erfindung? Spiegeln Medien die Wirklichkeit (deckungsgleich bis verzerrt) wider, oder konstruieren diese sie erst? Ist die Welt Projektion oder Entwurf? Repräsentieren wir etwas, oder sind wir ‚immer schon‘ Konstrukte? Bilden wir Wirklichkeit ab, oder bauen wir sie auf?